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Algorithmen für Klassiker

 

Viele Texte liessen sich auf wenige Sätze, Paragraphen, Seiten und Kapitel reduzieren, ohne dass Entscheidendes verloren ginge. Sogar und besonders den grössten Texten droht das unvermeidliche Schicksal, dass nur minimalste Details von ihnen überigbleiben. Von Proust weiss man nicht viel mehr als dass die Madelaines gut gerochen haben, und auch von Günter Grass bleibt nicht mehr viel überbrig als Oskar Matzerats Fähigkeit singend Glass zerspringen zu lassen. (Beides gehört schon heute bei der Mehrzahl der Menschheit zum Vergessenen oder eher noch zum noch-nie-gekannten.
Abgesehen davon würde es auch diesen Texten gut getan haben, bei einem genialen Lektor gelanded zu sein, dessen Vorliebe für mächtige Algorithmen ihm das Editieren inspiriert hätte. Vielleicht geschähe daan sogar, dass sie besser würeden. Es gehõrt zum Gedanken des literarischen Algorhythmus, Gedanke und Sätze so zu bearbeiten, dass sie auf õkonomischste Weise ihrem Gegenstand gerecht werden.
In der Zukunft wird es hoffentlich Algorythmen für die Klassiker geben, so dass man zum Beispiel Tolstojs “Krieg und Frieden” auf 30 Seiten reduzieren könnte, ohne dabei auch noch das kleinste Detail verlieren zu müssen. Dem neuen Algorythmus des Textes würde man einen neuen Algorithmus des Lesers beigesellen und dann könnte man all das retten, was vom totalen Vergessen bedroht ist und nie wieder zu dem gehören wird, was man einstmal als “Allgemeinbildung” benannte.