Richard Wagner: Musikalisches Genie und Politische Unzurechnungsfähigkeit.
Es bleibt einem nicht erspart, der Tatsache ins Auge blicken zu müssen, daß auf Wagner die Schrecklichkeiten des 1. Weltkriegs und sehr bald danach Hitler und die Schrecklichkeiten es 2. Weltkriegs folgten; dazu muß man die Schrecklichkeiten Stalins rechnen und die Schrecklichkeiten Hiroshimas und der weiteren Entwicklungen in Korea und Vietnam und Kambodscha.
Auch wenn man dies dem Wagnerschen Werk gegenüber als Äußerlichkeiten ansehen muß, wirft diese weitere geschichtliche Entwicklung, die nichts mit Wagner ursprünglich zu tun hat, Schatten auf dieses Werk zurück. Für mich ist es der Schatten der Naivität, die sich sehr schnell auch als politische Unzurechnungsfähigkeit erweist. Wagner ist nicht verantwortlich für Hitler und Wagner war keine Faschist. Wagners politisches Weltbild jedoch verweigerte sich echter Sensibilität.
Am Ende könnte man Hitler und Stalin und das monströse Hinschlachten von Millionen von Menschen in die Wiederkehr des Immergleichen einreihen, es in den Rhythmus, die Wellenbewegung von Hochblüte und Dekandenz, von Frieden und Krieg, einordnen. So ist es halt, so geht es halt, und nach der Götterdämmerung gibt es den Neuanfang, und dann wieder die Hoffnung auf Ur-Heile.
Das sind schon Modelle, die einem in den Sinn kommen, wenn man sich die Weltgeschichte so anschaut, das sind aber auch unmenschliche Modelle, weil in ihnen die Tatsächlichkeit des Lebens und der Leben ignoriert wird und dem Mythos der Vorrang einräumt wird, als wüßte er als einziger, worum es wirklich geht. Mythen und besonders Ur-Mythen “wissen” auf eine Weise, die man übersetzen muß. Ihr Wissen verlangt nach Übersetzung, so daß wir uns auf das einlassen können, was uns umtreibt, ohne daß wir uns dessen bewußt sind. Tatsächliches Leben kommt nicht mehr zur Sprache und tatsächliches Leben kommt bei Wagner auch nicht mehr zur Sprachen. Wenn man sich wirklich nur auf frühkindliche und unzestuöse und mytisch-neurotische Züge einläßt, versäumt man, daß man auch Verantworung haben könnte.
Wagners Musik weiß unendlich viel von diesen Gefühlslagen und Stimmungen. Sie erhebt sich meines Erachten nie über die schwelgerische Versenkung in diese Stimmungen hinaus und verweist einen somit auch nie auf die Tatsächlichkeit des Lebens. Deswegen kommt man, wenn man es wirklich mal wahrnehmen will, von Wagner nie weg ohne Schuldgefühle. Da verliert man sich mit einem und bei einem in Bereiche, die verführend schön sind und gleichzeitig von zynischer Gleichgültigkeit dem tatsächlichen Leben gegenüber.
Furthwängler, Böhm, Karajan und andere sind keine Zufälle und keine Ausnahmen. Sie verweisen nur auf diesen immer wieder erschreckenden und verwirrenden Zusammenhang zwischen musikalischem Genie und politischer Unzurechnungsfähigkeit. Die Tatsache, daß jemand zutiefst in authentische Gefühlsstimmungen eintauchen und diese verstehen kann, heißt überhaupt nicht, daß ihm politisch zu trauen sein. Vielleicht