Thomas Bernhard.

 

Thomas Bernhard, den ich sehr bewundere und der ohne Zweifel zu den bedeutendsten und wichtigsten Autoren im deutschsprachigen Raum der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts gehört, konfrontiert mich mit erheblichen Konflikten. Ästhetisches, Politisches und Moralisches kommen mir bei ihm in die Quere wie bei keinem anderen.

Die Welt, die er beschreibt, ist einzigartig und er beschreibt sie mit großartiger Schärfe, Sprachkraft und Unerschrockenheit. Die Welt, die er beschreibt, ist vom Schriftstellerischen her gesehen perfekt beschrieben. Aber auch wenn ich von ihr fasziniert bin und Bernhard Bewunderung zolle für seine Unerschrockenheit und sein Genie bei ihrer Darstellung, es ist dennoch nicht meine Welt. Politisch gesehen ist es die Welt von Grausamkeit und faschistischer Enge. Eine Welt, wie es sie durchaus gibt und gegeben hat; und vielleicht immer geben wird.

Immer wieder frage ich mich, wie Bernhard schreiben konnte, wie er geschrieben hat, ohne sich unendlich schuldig fühlen zu müssen. Es gibt in seiner so durchdringenden und irgendwie auch überzeugenden Darstellung dieser finsteren Welt etwas Unredliches, etwas Einseitiges und in der Art, wie er niedermachen kann, was ihm so verhaßt ist und was ihm so viel Schmerz bereitet, drückt sich eine Brutalität und Unmenschlichkeit aus, die er mit größter Sensibilität und Brillianz an seinem Gegenstand und damit immer auch an seinen Gegner beschreibt.

Diese unendlichen Litaneien der Beschwerde, der Beschimpfung, der Anklage, wenn man sie oft genug gehört hat, und dieses “oft genug” stellt sich bei Bernhard ja sehr schnell ein,

Ohne Zweifel beschreibt Bernhard auch Wahnsinn. Er beschreibt ihn so gut und überzeugend wie kein anderer. Er versteht so viel von ihm wie wenige und ich bin mir sicher, daß der Hauptprotagonist seines unendlichen Zeterns und Beklagens, der zentrale Dreckschleuderer, zu einem nicht geringen Ausmaß einen Anteil von ihm selber beschreibt. Ein innere Stimme, die auch ihm das Leben schwermachte, und von der er sich nur immer zeitweilig etwas befreien konnte, indem er sie durch andere – auf der Bühne oder in seinen Büchern – sprechen ließ.

Dennoch, all das hat meine Bewunderung für sein Schreiben und mein Interesse an dem, was er beschreibt, nicht vermindert. Wie wenig hinterläßt er mich mit dem Gefühl, daß die Lektüre seiner Tirade die Mühe und die Zeit wert ist, die man aufbringen muß. Selten komme ich von dieser Lektüre weg ohne beeindruckt zu sein; aber das heißt nicht, daß ich nicht zunehmend denke, daß es da etwas sehr Unredliches und Bedenkliches gibt, auf dessen Verständnis ich nicht verzichten möchte.

Das Gefühl der Unredlichkeit beschleicht mich regelmäßig bei dem Gedanken, mit welcher Unmenschlichkeit Bernhard selber sich dem Unmenschlichen nähert. Wie wenig Verständnis er aufbringt für diese Seite menschlicher Existenz und Geschichte, die für unermeßliches Leid in der gesamten Menschheitsgeschichte verantwortlich ist.

Da kommt mir ganz plötzlich der Hypokrit entgegen, der moralische Bibelfanatiker, der sich vom Podest moralischer Überlegenheit daran macht, all Übel in der Welt gründlich und für ein und allemal anzuprangern und niederzumachen.

Ein letzter, und vielleicht der kritischste Eindruck: Oft kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß sich Bernhard in dieser so finsteren Welt häuslich gemacht hat. Daß er sich innerhalb dieses Zetern und Beschimpfens wirklich auskannte und deswegen in ihr auch Geborgenheit fand. Dann ist der Schritt für mich sehr klein, auch annehmen zu müssen, daß man es hier mit einer sehr intelligenten und ästhetisch hochwertigen Abwehssystem zu tun hat, ohne das Bernhard nicht leben oder überleben konnte. Dies zu erkennen und anzuerkennen, erscheint mir sehr wichtig zu sein, und es tut der Bewunderung und Wertschätzung eigentlich keinen Abbruch. Aber es läßt eine Wahrheit zu, ohne die Bernhard eigentlich zum Propagandisten wird, dem man letztlich moralische Überzeugungskraft absprechen muß. Wenn man nicht den Gedanken an die gewalttätige Einseitigkeiten und Deformierungen seiner Weltsicht zuläßt, beraubt man sein Werk um seine Größe. Diese Paradox erscheint mir zentral und ohne es gesehen und anerkannt zu haben, würde ich meiner Bewunderung für Bernhards Werk nicht mehr trauen wollen.

Bernhard wußte viel von Zerstörung, Auslöschung und Entmenschlichung. Wie wenige konnte er die Konsequenzen von Erfahrungen beschreiben, die unmenschlich waren und tiefe Verwüstungen in den Individuen hinterlassen. Oft frage ich mich, ob und wie viel er wußte, oder wissen wollte, daß diese zerstörerischen Vorgänge nicht nur außerhalb von ihm, sondern in ihm selber nicht nur vollzogen, sondern aktiv auch ins Werk gesetzt wurden.

Das deutlichste Wissen um gewalttätige Zerstörung und die damit verbundene Notwendigkeit der Rekonstruktion, des Wiederaufbaus, der Wiedergutmachung, der Heilens der Schäden und Beschädigungen, kommt vielleicht in seinen enormen Bemühungen um die Rekonstruktion von alten, verfallenen Häusern zu Ausdruck, in denen er Schönheit sah, die in Gefahr war gänzlich dem Vergessen oder dem Verfall Anheim zu fallen. Dort war er aufs leidenschaftlichste mit Wiederherstellung und Wiedergutmachung beschäftigt, und dort kann man einen Gegenpol finden zu all den in inzähligen Tiraden beschworenen Korruption von allem.

Wiederum jedoch kann ich mich nie des Eindrucks erwehren, daß er sich als den Retter ansah; als denjenigen, der unkorrumpiert war und sich, gegen den Strom schwimmend, der Korruption und Zerstörung von Schönheit und Wahrheit entgegenstellte. Vielleicht auch zu schön und zu perfekt war das, was dann restauriert und kaum wirklich benutzt wurde. Vor allem aber bleibt die Einsicht auf Zerstörung allzu sehr im Draußen angesiedelt und es sind die wirklichen Bernhard-Kenner, auf deren Hilfe ich mich hier verlassen müßte, wenn ich mich frage: Gibt es tiefere Einsichten bei Bernhard in die eigenen, ganz persönliche destruktive und mordlüsterne Vernichtungswut, und zu welchem Grad seine oft totale Hinrichtung des allgemeinen Alltagslebens doch auch eine gewaltige Inhumanität zum Ausdruck bringt. Eine narzistische Verliebtheit in die Mechanismen der Beschuldigung, der Vorwürfe, der Abkanzelung, der Niedermachung, wobei sich das verletzte Ich so häuslich in seiner totalen Schuldlosigkeit einrichten kann.

Das vielleicht Interessanteste bei dieser Lektüre geschieht eigentlich dann, wenn man merkt, daß Bernhard einen eigentlich doch gerne überreden möchte, daß die Welt, wie er sie beschreibt, auch so ist, wie er sie beschreibt, und nicht auch anders. Es ist der Moment beim Lesen, wo man sich zu fragen anfängt, ob es sich seine Texte nicht doch “zu leicht machen”, und gerade auch dort, wo man ihnen am wehrlosesten ausgeliefert ist und sie begeistert und bis ins Mark erschrocken und erschüttert zugleich in sich aufsaugt. Es gibt deswegen etwas Unehrliches und Unredliches in diesen Texten, das einen dazu bringen könnte, ebenfalls alles über einen Kamm scheren zu wollen und sich so allerlei unbequeme Fragen ersparen zu können. Vor allem Fragen, die sich mit der eigenen Schuld beschäftigen wollen.

Nicht daß ich so schreiben könnte wie Bernhard; mit seiner Meisterschaft will und kann ich mich überhaupt nicht anlegen. Aber auch wenn ich dazu in der Lage wäre, könnte ich es nicht, denn ständig würde ich mich schuldig fühlen angesichts dieser einseitigen Zetereien und Verleumdungen und Niedermachungen.